I. Prinz: Seh(n)sucht…

Ina Prinz

Seh(n)sucht – Werke von Elena Lux-Marx

«…Elena Lux-Marx, die sich seit ihren Studienzeiten von der geometrisch konstruktiven Bildsprache angezogen fühlt, fand in Albers ihren Meister. In ersten geometrischen Farbexperimenten, die ebenso für den Betrachter eine Herausforderung darstellen, hat sie kurze Konstruktionserklärungen in ihren Bildern gegeben. Versucht der Betrachter sie nachzuvollziehen, enthüllt sich ihm eine Einsicht in die Konstruktion des Bildes, die ihm sein Auge aber nicht unmittelbar bestätigt. Was das Gehirn weiß und versteht, kann den Sehnerv irritieren und verwirren. Über dieses erste Spiel mit subtilen Farbeffekten gelangte Elena Lux-Marx in den 70er Jahren zu immer feineren Kompositionen. Ihre Farbwahl wurde in dieser Zeit immer nuancenreicher. Was der Betrachter teils nur mit Mühe noch als zwei unterschiedliche Farbtöne erkennt, mischt Elena Lux-Marx mit großer Sicherheit. Aus der Fähigkeit der Künstlerin auch feinste Farbabstufungen wahrzunehmen und sogar reproduzieren zu können, ist im Laufe der Zeit eine unnachahmliche Meisterschaft erwachsen. 

Das Erkennen und Abstimmen der Farben für ein Werk ist die eine Sache, aber das kalkulierte Entwickeln einer Komposition daraus, die den Betrachter zum Sehen verführt, ist etwas anderes. Es erfordert ein Farbgefühl, wie es wohl nur in Ausnahmefällen zu finden ist. Ist eine Bildfläche von knapp 150 x 150 cm mit Rechtecken der Größe von 1x 2 cm zu gestalten, so erfordert ein Bild in dieser Perfektion nicht nur Feingefühl, sondern auch ein Höchstmaß an Geduld. Doch diese Werke verlangen nicht nur der Künstlerin einiges ab. Sie stellen auch für den Betrachter eine wahre Herausforderung dar. Ein besonders forderndes Werk nennt sich Nachbild. Hier spielt Elena Lux-Marx mit dem Effekt, dass das menschliche Auge, nachdem es längere Zeit auf einen roten Kreis geschaut hat, eben diesen Kreis bei dem anschließenden Blick auf eine weiße Fläche als komplementär farbiges, also grünes Nachbild sieht. Elena Lux-Marx malt ein recht dunkles Bild mit roten und grünen Rauten. Nachdem man längere Zeit auf dieses Bild geschaut hat, und danach auf eine weiße Wand schaut, erscheint dort das komplementäre Nachbild. Und exakt jenes Nachbild hat die Künstlerin in einem zweiten Werk einzufangen versucht. Die Ähnlichkeit zu unserem nur in unserem Kopf entstandenen Nachbild ist frappierend, was wiederum ein Beleg ihrer Meisterschaft in der Verwendung von Farben ist.

Trotz präziser Komposition mit klaren Komponenten, nämlich geometrischen monochromen Farbflächen, eröffnet sich dem Betrachter, der sich darauf einlässt, mit den Werken von Elena Lux-Marx ein Kosmos aus Licht, Luft und Freiheit. Durch die Bildoberfläche wird die Seele angeregt. Der Blich schweift durch das primär sichtbare hindurch und erreicht in meditativen Momenten eine übergeordnete Wirklichkeit. Die Bilder von Elena Lux-Marx erwecken nicht nur eine Sehsucht in uns, ihr Prinzip zu erkunden, sondern auch eine tiefe Sehnsucht, in die wundervollen Bildwirklichkeiten abzutauchen wie in einen geheimnisvollen Ozean.»

Katalogauszug aus «Seh(n)sucht – Werke von Elena Lux-Marx». Impressionen einer Ausstellung. Arithmeum, Universität Bonn, 2019

Ina Prinz, Professorin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Direktorin des Arithmeums, Kuratorin. Das Arithmeum beherbergt neben weltweit führenden Sammlungen zur Geschichte des maschinellen Rechnens und zur Mathematikgeschichte auch eine exzellente Sammlung geometrisch konstruktiver Kunst. Ein Archiv ihrer Ausstellungen ist unter https://www.arithmeum.uni-bonn.de/ausstellungen/archiv.html zu finden.