Zu meinen Farbstrukturen

Josef Albers öffnete uns die Augen für den Eigenwillen der Farben. In meinen Farbstrukturen und Farbräumen sind die Farben befreit vom Gegenstand, um in Resonanz aufeinander ihre Stärke und Schwäche, Zuneigung und Ablehnung, Gemeinsamkeit und Individualität auszuleben. Deshalb ist mir Farbe wichtig,  nicht Form. Befreit vom erzählenden Gegenstand, von abstrakter Form, eigenwilligen Mustern, impulsiven Gesten oder zufälligen Rakelspuren gewinnt Farbe ihre Autonomie zurück. Organisiert in neutralen Strukturen wird Farbe eigenmächtig, eigenwillig, sich gegenseitig einstimmend, angleichend oder durchdringend, dann wieder strahlend unangepasst, abweisend, irritierend, sogar aggressiv für manches Auge. Nur unser Wahrnehmungsvermögen setzt der Farbe Grenzen und unser Wille, sich nicht auf das Abenteuer Farbe einzulassen. 

Meine Bilder sollen Einladungen sein, sich der Verführung von “befreiten“ Farben auszusetzen, aufkommenden Gefühlen nachzuspüren und herauszufinden, in welchen Farbräumen unsere momentanen Stimmungen wie Heiterkeit, Erregung oder Entspanntsein, Unwohlsein, Trauer oder Hoffnung zu Hause sind.

So wie jedes meiner Bilder für den Betrachter eine implizite Zumutung ist, so eindeutig herausgefordert bin ich selbst mit jedem neuen Bild. Mir geht es nicht um bestimmte Wirkungen auf die Betrachterin. Das besorgen die Farbinteraktionen aus sich selbst heraus. Ich gebe den Farben einfach auf systematische Weise einen neutralen Verlauf, einen geordneten Wirkungsraum, in dem sie ihre besonderen Eigenheiten und Kräfte in der Reaktion mit und auf andere Farben ausleben können. Ich verzichte in meinen Bildern auf jede autoritäre Geste eines “Ausdrucks“, auf jedes definitive So-ist-es. 

Farbe hat ihre physikalischen Entstehungsbedingungen. Dennoch ist die «Konkretheit der Farbe» für mich graue Theorie. Eine Illusion, der viele unterliegen. Denn Farbe entsteht ja erst im Kopf wie alle anderen Phänomene der Wahrnehmung auch. Dort wirkt sie und löst unsere Empfindungen aus. Ich suche nach Farbwelten, die dem stereotypen Sehen entkommen, die Alternativen bieten zu den Arbeitsweisen von Albers, Ad Reinhard, Lohse oder Bridget Riley. Deshalb spielt in vielen meiner Arbeiten auch die «Unfarbe» – im Sinne von nicht eindeutig bestimmbar, aber nicht von farblos – eine zentrale Rolle. Wann jedoch eine Farbreihe sich in eine achromatische verwandelt und daraus in einer anderen Chromatik wiederauftaucht, ist in Reinheit, Ton, Sättigung und Ausweitung von den Startfarben bestimmt, nicht von mir. So bleibt es dem Betrachter überlassen, an seinem gelernten Farbensehen festzuhalten oder sich daraus zu befreien und neue Erfahrungen zu machen.

In dem Masse, wie es der Betrachterin, dem Betrachter gelingt, Farbdurchdringungen und -auflösungen, Farbinduktionen, Farbüberstrahlung und -unterordnung im Bild zu finden und vergleichend nachzuvollziehen, erfährt sie oder er, dass das Eintauchen in meine Bilder ein Entscheidungs- und co-creativer Akt ist, der mein Bild unbemerkt zum ganz persönlichen Erlebnis macht. 

Gelingt der Betrachterin, dem Betrachter dies, hat meine Arbeit ihren Sinn erhalten.